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Bandcamp,

die alternative Musik-Distributions-Plattform

Interview mit Jerome Froese, Bilder: Jerome Froese

Viele Musiker suchen nach alternativen Distributionswegen und Plattformen für die Veröffentlichung ihrer musikalischen Werke. Für sie ist die Verbreitung über Verlage keine Option mehr – der Trend geht oft in Richtung Direktvertrieb. Eine der Plattformen, die dies ermöglicht, ist Bandcamp. Auch wenn wir in der Regel auf der anderen Seite des Mikrofons sitzen, ist das Wissen um derartige alternative Plattformen wichtig – und sei es nur, um eigene Kunden besser beraten zu können. Der Artikel führt in die Möglichkeiten von Bandcamp ein und stellt sie aus der Sicht des Nutzers und Musikers Jerome Froese dar.

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Bandcamp wurde bereits im Jahr 2007 von Ethan Diamond und den Programmierern Shawn Grunberger, Joe Holt and Neal Tucker gegründet. Die Idee bestand darin, eine Plattform zu schaffen, über die die Künstler ihre Produkte mit wenig Aufwand anbieten können. Zudem sollten die Erlöse der Verkäufe zu großen Teilen dem Künstler zugeführt werden. Im März 2022 wurde Bandcamp an die US-Firma Epic Games verkauft. Bisher hatte dies keine Auswirkungen auf den Service oder die Ausschüttungsmodalitäten. Bandcamp bietet verschiedene Account-Typen an: für Musikkonsumenten, Künstler und Labels. Verkauft werden sowohl digitale Produkte in Form von Streamings und optionalen Downloads als auch physische Produkte wie LPs oder CDs. 2020 kam außerdem ein Live-Streaming-Angebot für Künstler hinzu. Bandcamp lässt sich über einen Internet-Browser oder über iOS- und Android-Apps nutzen. Der Anwender kann neben mp3-Dateien optional auch nicht-datenkomprimierte Formate (wie zum Beispiel FLAC, WAV oder AIFF) als Download anbieten, falls der Künstler oder das Label diese bereitstellt.

Anderes Vergütungsmodell

Bei der Bezahlung von digitalen Produkten legt der Urheber vorher den Preis fest. Alternativ stellt er das Produkt kostenfrei ein und die Konsumenten können freiwillig einen Betrag an den Künstler anweisen. Dieser kann auch bestimmen, welche Titel zunächst entgeltfrei – als Kostprobe – aufgerufen werden können. Insgesamt hat Bandcamp im Jahr 2022 nach eigenen Angaben 186 Millionen Dollar an die Künstler ausgeschüttet – im Durchschnitt 82 Prozent der Einnahmen. Je nach Jahresumsatz gehen 15 oder 10 Prozent der Einnahmen als Provision zur Abwicklung des Verkaufs und für das Betreiben der Plattform an Bandcamp. Zum Vergleich: Bei den meisten großen Streaming-Diensten sind es häufig pro Stream weniger als 0,01 US$ für den Künstler. Letztendlich ist die Anzahl der Streams entscheidend für den Umsatz und somit auch für den Erlös des Musikers. Zudem nutzen viele Künstler Agenturen, die das Management und Uploading der Musik auf die Streaming-Dienste übernehmen und sich dies auch bezahlen lassen. Kein Wunder, dass deshalb viele Musiker Bandcamp als Distributionsplattform mit besseren Ausschüttungen als lukrativ erachten. Inzwischen vertreiben einige bekannte Künstler ihre Musik über Bandcamp. Unter anderem ist die elektronische Musik in ihrer ganzen Vielfalt vermehrt dort zu finden. Ein Musiker, der auf der Plattform mit verschiedenen Werken vertreten ist, ist der siebenfach Grammy-nominierte Musiker Jerome Froese aus Berlin – früheres Bandmitglied von Tangerine Dream (gegründet 1967 von seinem Vater Edgar Froese). Jerome bietet sowohl eigene Alben als auch die von Tangerine Dream auf Bandcamp an. Wir haben dies zum Anlass genommen, ihn zu diesem Thema zu befragen.

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Du nutzt Bandcamp bereits eine Weile. Wie bist Du dazu gekommen? Nutzt Du ausschließlich diese Plattform oder kombinierst Du sie mit anderen Distributionswegen?
Jerome Froese: Mit meinem 2005 gegründetem Label Moonpop war ich bereits mit der Produktion von physischen Medien und dem Vertrieb über die gängigen digitalen Vertriebswege vertraut. Irgendwann in der zweiten Jahreshälfte 2014 habe ich ein Stück Musik gehört, das mir gut gefallen hat, dessen Interpret mir aber völlig unbekannt war. Also warf ich die Suchmaschine an und diese meldete mir, dass der Song ausschließlich auf einer Plattform namens Bandcamp verfügbar sei. Ich habe die Seite aufgerufen, mich dort gleich intensiver umgeschaut und angefangen, mich mit der Philosophie der Plattform zu beschäftigen. Sofort fiel mir die unkomplizierte Handhabung als Käufer auf. Da der Basis-Account von Bandcamp gratis war, habe ich mich unverbindlich angemeldet, um direkt hinter den Vorhang zu schauen. Ich war überrascht, dass die Struktur für das Anbieten von eigener Musik genauso schnell und unkompliziert aufgebaut war wie der Erwerb. Somit bin ich nun seit Januar 2015 dabei und es hat sich für mich, um das einmal vorwegzunehmen, bisher auch gelohnt.

Ist Bandcamp ein Portal für alle Musikrichtungen oder siehst Du bestimmte Schwerpunkte?
Das kann ich pauschal nicht beantworten, da mir das Einteilen von Musik in Kategorien nie besonders wichtig war. Solch eine Denkweise begrenzt einen nur in seinen künstlerischen Möglichkeiten. Insofern ist Bandcamp ein interessantes Projekt, da hier wirklich viele musikalische Experimente und Ideen schnell verfügbar gemacht werden können – und zum Glück auch werden. Wer bereit ist, etwas Zeit zu investieren, um nach neuer Musik zu schürfen, findet hier noch die eine oder andere musikalische Goldader.

Wie hast Du die Verwertungsrechte geregelt? Gleichzeitig GEMA-Mitglied mit einer Abtretung der Verwertungsrechte an die GEMA und Nutzung von Bandcamp ist ja ein rechtlicher „Spagat“.
Das ist wohl nicht endgültig zu beantworten. Ich selbst bin in den Territorien USA und Kanada Mitglied der ASCAP, deshalb habe ich in diesem Fall ein für mich etwas spezielleres Konzept gewählt. Es gibt aber Variationsmöglichkeiten bei der Mitgliedschaft in Verwertungsgesellschaften. Am besten lässt man sich dazu individuell beraten.

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Eine Besonderheit bei Bandcamp ist der direkte Kontakt zwischen Künstler und Konsument welcher sich auch über die Kundenkommentare auf der Seite wiederspiegelt.

Wie hoch ist der Aufwand zum Erstellen und Betreuen der eigenen Bandcamp-Homepage?
Es hängt davon ab, wie individuell man sich präsentieren möchte. Ein fertiges Musikstück verfügbar zu machen ist, einen bestehenden Bandcamp-Account vorausgesetzt, eine Sache von Minuten. Im Backend des Accounts gibt es noch einige Möglichkeiten, das Seiten-Design anzupassen, und mit ein paar zusätzlichen Tricks kann man gestalterisch sogar noch mehr herausholen. Dazu ist es ratsam, sich etwas mit den Bandcamp-Tutorials zu beschäftigen, die sehr kurzweilig und verständlich aufgebaut sind. Allerdings sind sie nur in englischer Sprache verfügbar. Über den Account können über das digitale Angebot hinaus auch physische Produkte wie CDs, Vinyl oder anderes Merchandising mit angeboten werden. Die zusätzliche Abwicklung physischer Produkte vermehrt jedoch den Aufwand. Bandcamp bietet Vorlagen für die direkte Kommunikation mit Kunden und Interessenten sowie Auswertungen und Statistiken. Für bestimmte Funktionen ist es eventuell später attraktiv, das Upgrade auf einen Pro-Account zu machen, der 10 US$ im Monat kostet. Meine Empfehlung: Einfach mal einen Account erstellen und sich unverbindlich umsehen, ob man in den angebotenen Optionen eine Plattform für seine Musik sieht.

Kannst Du uns etwas über die Abwicklung der Zahlungen und die Kundenbetreuung sagen?
Die Abwicklung läuft ausschließlich über PayPal. Es wird zuverlässig in ein bis zwei Tagen nach dem Verkauf des Produktes überwiesen. Die PayPal-Gebühren zahlt man selbst. Man startet bei 15 Prozent Provision. Bei einem Umsatz von mindestens 5.000 US$ verringert sich die Gebühr auf zehn Prozent. Sollte der Umsatz im Folgejahr nicht gehalten werden, erhöht sich der Bandcamp-Anteil wieder. Zusätzlich sollte man bedenken, dass die Plattform auf alle Verkäufe in der EU eine Mehrwertsteuer erhebt. Für den Verkäufer ist dies ein „Durchlaufposten“, da die Steuer von Bandcamp automatisch zum eigenen Angebotspreis addiert wird. Dies sollte man bei der Preisgestaltung im Hinterkopf haben.

Ist Bandcamp finanziell für Musiker lukrativ? Auf Spotify oder Apple Music gibt es sicher mehr potenzielle Hörer. Und wie groß ist das Verhältnis zwischen physischen und digitalen Produkten?
Das kommt auf die Kaufkraft und Hingabe der Kunden an. Während bei Spotify und Apple wahrscheinlich mehr Hörer generiert werden können, ist die Ausschüttung an Tantiemen – wie schon allgemein bekannt – unterirdisch. Auf das komplexe Gebaren der großen Streaming-Dienste einzugehen, würde hier sicherlich den Rahmen sprengen. Wie bereits vorhin erwähnt, hat man bei Bandcamp die Möglichkeit, preislich zu experimentieren und auszuloten, was die Hörer bereit sind auszugeben. Auf Bandcamp kann man einstellen, wie oft ein Song vor dem Kauf im Stream vorab gehört werden kann, etwa nur drei Mal oder unbegrenzt. Für diese Streams rechnet Bandcamp nichts ab, nur für die Verkäufe der Downloads. Hier habe ich persönlich einen Vorteil: Ich muss mich als Künstler nicht mehr ganz von Null etablieren und kann auf eine treue Fangemeinde zurückgreifen, was es etwas leichter macht, die Musik zu verkaufen. Meine eigene Preispolitik ist teilweise umstritten, da ich für digitale Alben zwischen 10 und 17 Euro verlange, welche allerdings auch re-mastered sind und einige zusätzliche Boni beinhalten. Einige finden das teuer, aber es ist pro Produkt zuweilen immer noch billiger als zwei „Grand Latte“ im Hipster-Café. Und die Musik muss nach dem Konsum nicht erneut gekauft werden, der Kaffee schon. In der Regel werden auf Bandcamp aber auch Alben im Segment von 4 bis 8 Euro angeboten, was im direkten Vergleich für den Künstler schon ein guter Wert sein kann. Ein weiteres interessantes Feature, welches man nicht unterschätzen sollte, ist die „Name your Price“-Option. Diese bietet die Möglichkeit, ein Werk erst einmal gratis anzubieten und dem Käufer die Wahl zu lassen, was ihm das Musikstück selbst wert ist. Auf diesem Weg habe ich zum Teil erstaunliche Schwankungen erlebt. So ist es vorgekommen, dass mir ein Kunde 50 Euro für einen einzigen Musiktitel überwiesen hat. Im Übrigen kann man auch bei jeder Veröffentlichung, der man einen Kaufpreis vorgegeben hat, eine „Let buyers pay more if they want“-Option setzen. Es lohnt sich wirklich, in diesem Bereich zu experimentieren, das Kaufverhalten der Hörer zu analysieren und teilweise auch zu lenken.

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Die Bezahlung des Kaufs erfolgt über PayPal. Wie bewertest Du den Nachteil, dass aus der iOS App kein direkter Kauf getätigt werden kann und man dazu doch wieder den Zugang über den Internet-Browser durchführen muss?
Als Konsument bei Bandcamp hat mich das bisher ehrlicherweise nicht besonders gestört. Wie sich die Dinge hier weiterentwickeln, wird sich zeigen. Einkäufe direkt über die App zu ermöglichen, wäre hier bestimmt kein Nachteil.

Es gibt am Freitag bei Bandcamp traditionell besonders viele Neuveröffentlichungen und auch Specials mit Sonderpreisen beziehungsweise Rabatten. Macht es Sinn, das zu nutzen?
Der Freitag ist seit jeher der traditionelle Veröffentlichungstag der Musikbranche. Das wurde vor vielen Jahren einmal eingeführt und ist inzwischen wie ein Kompass für Musikkonsumenten, genauso wie sich der Samstag nun als „Record Store Day“ etabliert hat. Das Team von Bandcamp hat hier insofern nachgezogen, indem es während der Corona-Pandemie den sogenannten „Bandcamp Friday“ eingeführt hat. An diesem hat es zunächst für einige Monate – jeweils am ersten Freitag des Monats – auf ihre eigene Abgabe zugunsten der Künstler verzichtet. Dieses Konzept hat sich inzwischen wohl so bewährt, dass sie es für die meisten Monate des Jahres weiterhin beibehalten haben. An jedem Verkauf einen Tag lang bis zu 15 Prozent mehr zu verdienen kann sich für manchen Künstler schon lohnen; vor allem, wenn man dafür vielleicht ein neues Produkt auf Lager hat oder einige Komplettpakete seines Kataloges verkaufen kann.

Wo sind die Grenzen von Bandcamp, was ist verbesserungswürdig?
Bandcamp ist ein großartiges Werkzeug, um viele Dinge abseits des Mainstreams auszuprobieren. Ich kenne selbst einige Kollegen, die dort unter einem Pseudonym neue Projekte vorstellen und in Verbindung mit den gängigen Social-Media-Angeboten versuchen, dafür eine Hörerschaft aufzubauen. Digitale Vertriebswege gibt es heutzutage mehr als genug und die meisten Künstler wissen inzwischen auch, dass es kein Problem mehr ist, in die großen Portale wie Apple, Amazon, Spotify und Google reinzukommen. Allerdings dauern hier die Freischaltungen der eigenen Beiträge meist länger, die Ausschüttungen sind in der Regel weiter gestreckt und die Einnahmen-Ausgaben-Situation muss oftmals anders kalkuliert werden. Die Kombination aus Präsentation, Philosophie und Qualität finde ich persönlich zurzeit bei Bandcamp am angenehmsten. Was würdest du abschließend den Musikern empfehlen, die ihre Musik selbst vermarkten möchten? Seid in erster Linie authentisch und seht zu, dass eure Integrität als Künstler immer im Vordergrund steht. Was auch immer ihr produziert: Steht dazu, auch wenn der nie endende Lernprozess eure Arbeit über die Zeit verändert.

Unser Interviewpartner

Jerome Froese, siebenfach Grammy-nominierter Multi-Instrumentalist (geb. 1970), hatte schon in seiner Jugend ständig Berührung mit der Musik: Sein Vater war der Mitbegründer der Berliner Band Tangerine Dream, in der Jerome von 1990 (Album „Melrose“) bis 2006 ebenfalls Mitglied war. Seit 2004 hat er verschiedene Soloalben veröffentlicht. Weitere Aktivitäten von ihm sind die Komposition von Werbemusik für verschiedenste Industrie-Unternehmen, von Filmmusik (u.a. Tatort) und auch Remixes von und mit Tangerine Dream sowie Andy Bell (Erasure). Außerdem arbeitete er mit Claudia Brücken und Susanne Freytag (Propaganda), Demis Roussos (Aphrodite’s Child), und Marty Willson-Piper (The Church, All About Eve) zusammen.