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Audiowerk Berlin, 100 Jahre Rundfunk und Gerhard Steinke als Zeitzeuge einer Ära

Bericht vom Regionaltreffen in Berlin vom 29. März 2023

Text: Lasse Nipkow Bilder: Archiv des VDT

Am 29. März 2023 trafen sich rund 25 Mitglieder der Regionalgruppe Berlin in den Räumlichkeiten der jungen Firma Audiowerk Berlin. Theodor Pryzibilla (Leiter der Regionalgruppe Berlin) organisierte dieses Treffen anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Rundfunks, über welches Gerhard Steinke aus erster Hand viele bebilderte Eindrücke gab und zahlreiche Anekdoten erzählte.

Vortrag von Gerhard Steinke

Schon im Vorfeld war klar, dass dieses Regionalgruppentreffen sehr spannend wird. Daher haben Theo Przybilla als Regionalgruppenleiter und Lasse Nipkow aus dem Referat Musik- und Wortproduktion dafür gesorgt, dass sie uns auch im Nachhinein als Video vorliegen. Hier ist der Beitrag von Gerhard Steinke abrufbar (Beitrag von Stefan Haberfeld: siehe weiter unten):

Vimeo Video

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Im zweiten Teil berichtete Stefan Haberfeld, Ressortleitung Sendung und Produktion bei Deutschlandradio, über die geplante Zukunft der Rundfunkanstalt im Hinblick auf die zahlreichen Herausforderungen der heutigen Zeit und deren Lösungsansätze. Dieser Beitrag passt perfekt zu dem Schwerpunktthema dieser Ausgabe!

Nach einer Einleitung des Regionalgruppenleiters Theodor Przybilla berichtete Til Schwartz, Geschäftsführer der Firma Audiowerk Berlin, über das Angebot ihrer Dienstleistungen. Er beschrieb einige Projekte unseres Gastgebers, bei denen er mit seiner weitreichenden technischen Ausstattung Events und Vorproduktionen für Deutschlandfunk Kultur durchgeführt hatte.

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Viel Geschichte und viele Anekdoten

Anschließend stieg Gerhard Steinke in seinen Vortrag mit der Bemerkung ein: „Liebe Freunde, ich muss euch als Freunde anreden! Wir waren Freunde zwischen Ost und West!“. Damit brachte er zum Ausdruck, wie wichtig es ist, auch über Grenzen hinaus zusammen zu arbeiten. Er schilderte mit seiner scharfsinnigen Art die bedeutsamen Stränge der Entwicklungsgeschichte der Audiotechnik, erzählte einige Anekdoten und wies auf Zusammenhänge hin, die jüngeren Generationen wohl größtenteils unbekannt sind. So war zumindest mir nicht bewusst, dass Thomas Alva Edison bereits 1878 ein Patent für eine Apparatur angemeldet hat, mit der er Mehrkanal-Aufnahmen umsetzen konnte. Oder dass Clement Ader 1881 die erste Stereofonie-Übertragung patentiert und zusammen mit Tiradar Puskas an der 1. Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Paris vorgeführt hat. Unbekannt waren mir ebenfalls die ersten Stereo-Sendeversuche aus den Staatsopern Berlin und München in den Jahren 1923 und 1924. Gerhard Steinke vermittelte darüber hinaus auch den jeweiligen Zeitgeist und die Einstellung zu Innovation: „So wusste man bereits im 19. Jahrhundert: ‚Bald kommt Rundfunk, bald kommt Fernsehen, gar kein Problem, strengt Euch an!‘“ oder „Wir haben es in der Geburt mitgekriegt: Der gute Ton muss sein!“. Bemerkenswert ist auch die im Jahr 1927 gegründete Abteilung namens „akustisch-musikalische Grenzgebiete“ innerhalb der Funkversuchsstelle der Reichspost/ RRG in Berlin. Ihre Aufgabe bestand darin, die Leistungsgrenzen der Übertragungstechnik an menschliche Empfindungen anzupassen und die Betriebsabwicklung zu unterstützen.

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Mehrkanalton begann bereits 1960!

Einen Schwerpunkt des Vortrags bildete das Thema „Mehrkanalton“. Gerhard Steinke VDT 3-2023 MyVDT 48 ging zunächst auf die Stereo-Ambiofonie ein, die Lothar Keibs 1960 erfunden hatte und welche mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. Keibs‘ Idee war, nicht lediglich Stereo, sondern den Raum separat zu übertragen. Das Geniale daran ist, dass er hierfür den besten Ort im Raum gewählt hat: Nicht in der Nähe des Orchesters, sondern 20 Meter weiter hinten im Raum. Dort sind die Raumreflexionen viel dichter (8 dB lauter). Durch geeignete Verzögerung der Instrumentenmikrofone konnte man den (virtuellen) Platz des Hörers definieren: nah am Orchester oder etwas weiter weg.

Aufgrund der Vorarbeiten in Ost und West hat er zusammen mit Günther Theile 1992 Surround-Sound 5.0/5.1 in Genf standardisieren können. Im Jahr darauf entstand in Kooperation die weltweit erste HDTVProduktion mit 3/2-Audio, die auch in den USA vorgeführt worden ist. Gerhard Steinke stellte klar, dass Zweikanal-Stereofonie unvollkommen sei; es solle auch die akustische Atmosphäre übertragen werden. Im letzten Teil seines Beitrages ging Gerhard Steinke auf die aktuellen politischen Entwicklungen im Rundfunk ein, die stark von Kosteneinsparungen und Fokussierung auf Informationstechnologie geprägt sind. Seine Vision von Rundfunk-Qualität scheine mehr und mehr in ferne Weite gerückt zu sein. Zum Ende wies er darauf hin, dass wir die Mehrkanaltechnik auch aktiv bewerben sollten. Ansonsten fielen wir zurück auf Smartphones und die Zweikanaltechnik.

Vortrag von Stefan Haberfeld

Der Vortrag von Stefan Haberfeld passte perfekt in den Themenschwerpunkt unserer Magazinausgabe 3-2023. Wir freuen uns, auch von ihm einen Mitschnitt anbieten zu können:

Vimeo Video

historisches Radio

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Wie sieht Radio in Zukunft aus?

Stefan Haberfeld ging im zweiten Teil des Treffens auf die Zukunftsvisionen von Deutschlandradio ein: Welcher ist der richtige Weg für das Radio der Zukunft? Was kann das Radio besonders gut – und was erwartet das Publikum? Wenn das Radio nicht auf seine Stärken setzt, geht es in einem großen Markt unter. Wenn es darüber hinaus nicht bedürfnisorientiert agiert, macht es sich selbst irrelevant. Diese beiden Punkte sind allerdings nicht so leicht zu vereinbaren, denn das Publikum erwartet neben den linearen Inhalten auch nichtlineare Inhalte, die für Deutschlandradio neu und anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind.

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Radio und Social Media

Es sollen nicht mehr Angebote für das bestehende Publikum geschaffen werden, sondern zeitgemäße Angebote für ein neues Publikum. Die beste Form der Zukunftssicherung besteht darin, junge Menschen für das Medium Radio zu begeistern. Eins der Ziele ist daher, junge Menschen dort zu finden, wo sie sich in der digitalen Welt aufhalten: Social Media. Von dort aus gilt es, sie auf die eigene Plattform zu bringen. Anreize dafür sind Cross-Promotion, Erstveröffentlichungen sowie Premiumangebote wie 3D-Audio. Ein zentraler Punkt spielt dabei die Distribution; sie wird von der Programmdirektorin als gleichbedeutend zu den digitalen Inhalten eingestuft! Kern der Distribution sind Metadaten. Die Herausforderung besteht darin, diese dort hinzubringen, wo sie gebraucht werden. Hierfür wird ein System benötigt, das Stefan Haberfeld als Metadaten-Middleware bezeichnet. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Ausgänge zu den vorhandenen und zukünftigen Systemen ist es unmöglich, den Output auf Qualität zu kontrollieren. Deshalb ist es umso wichtiger, alle vorgelagerten Prozesse zu überprüfen.

Im Anschluss ging Stefan Haberfeld auf die Signalkette ein und behandelte Themen wie Dynamikbereich, Coding und 3D-Audio. Deutschlandradio nutzt für 3D-Audio Dolby Atmos, insbesondere deshalb, weil es den Mehrkanalgedanken und das binaurale Produzieren zusammenführt und ein riesiges Marktpotential hat. Ein weiteres wichtiges Thema betrifft den Umgang mit den Metadaten: Wie werden diese erzeugt? Bisher wurden diese von Hand eingegeben, was in Zukunft aufgrund des immer größeren Bedarfs durch KI unterstützt werden muss. Zum Schluss zitierte Stefan Haberfeld den ersten Satz der Digitalstrategie: „Deutschlandradio wird innerhalb von fünf Jahren zum wichtigsten Anbieter hochwertiger journalistischer und künstlerischer Audioinhalte im deutschsprachigen Raum“ sowie den letzten Satz daraus: „Eine herausragende Position sowohl im linearen Radio als auch im digitalen Audiomarkt ist Voraussetzung für den Fortbestand von Deutschlandradio.“ Daraus lässt sich ableiten, wie groß die Herausforderungen für Deutschlandradio sind – es gibt viel zu tun! Im Anschluss zu den beiden Vorträgen hatte das Publikum die Gelegenheit, Fragen zu stellen, was rege in Anspruch genommen wurde. Aus meiner Sicht war dies ein hochspannender Event, der einen tiefen Einblick in die Welt des Rundfunks – gestern, heute und morgen – gewährt hat. Übrigens: Die beiden Vorträge sind als Video-Aufnahmen auf der Magazin-Webseite zu finden.

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Der Autor

Lasse Nipkow beschäftigt sich seit 2010 mit 3D-Audio und den dazugehörenden psychoakustischen Phänomenen. Er realisiert u. a. akustische Aufnahmen und Studio-Produktionen in 3D und setzt außergewöhnliche Projekte für Binaural-und Lautsprecher-Wiedergabe um. Seit 2019 ist er zusammen mit Andrew Levine in der Referatsleitung Musik- und Wortproduktion des VDT.